Die Rosen-Wassermelone mit Avocado hatten die beiden kaum angerührt. Der Oberkellner kündigte jetzt Meeresfisch alias „Catch of the day“ an.

 

„Bitte Bettino, erzähle mir jetzt nicht, dass du mich nach all den Jahren herzitiert hast, um dich mit mir über unsere Affäre auszutauschen.“

 

„Nein, natürlich nicht. Doch wir müssen behutsam vorgehen. Ich muss wissen, ob du es wirklich willst. Danach gibt es kein Zurück mehr.“

 

Frau Sorokina schaute den Mann, der sie als Matratze benutzt und ihren Aufenthalt im sonnigen Italien von einem auf den anderen Tag beendet hatte, zweifelnd und ungläubig an.

 

„Willst du mir erzählen, wer hinter dem Attentat auf Kennedy steckte?“

 

Bettino Gambino war nicht nach Scherzen zumute. Er konnte sich kein Lächeln abringen.

 

„Nein, es geht um mehr. Um Europa. Ich möchte den Possen ein Ende bereiten. Die Richtung, in die der Kontinent abdriftet, gefällt mir ganz und gar nicht. Überall diese liberalen Tendenzen. Jede Form von Autorität wird infrage gestellt. Überall diese hedonistischen Umtriebe auf dem Vormarsch. Und die Jugend? Nicht einen Funken Respekt. Vor nichts.“

 

Die blonde Russin mit den gefärbten Haaren schaute ihn ungläubig an. Doch er war erst dabei, in Fahrt zu kommen. Den Fischteller hatte er nicht angerührt. Er naschte jetzt vom Gulasch vom bayrischen Rind.

 

„Menschen, die mir gewogen sind, sagen mir nach, dass ich geholfen hätte, Europa aufzubauen. Die Wahrheit ist, es war mir nicht nur egal, ich habe es gehasst. Diese arroganten Nordländer, so unterkühlt wie die Heringe aus Nord- und Ostsee. Ich kann und konnte die nicht ab. Mit ihrem Geschwätz von Gleichheit, ihrer Ablehnung der traditionellen Familie, ihrer Toleranz gegenüber jeglicher Form von sexueller Abartigkeit, ihrem Ruf nach Bildung für alle. Ihrer Missachtung gegenüber der privilegierten Herkunft, gegenüber erstrangigen Geschlechtern. Die Verneinung, diese renitente Leugnung der Kraft des Blutes. Bildung für alle ist der Tod der wirklichen Eliten. Der Schicht des Menschengeschlechts, das die Krone der Schöpfung ausmacht. Menschen wie uns! Früher war ich der Überzeugung, dass man dieses Gesindel ausrotten müsse. Heute bin ich älter und milder geworden. Man kann sie gewähren lassen. Ich denke, es ist Gottes Wille. Aber man muss sie dort halten, wo sie herkommen: unten. Denn sie gehören dorthin und nicht in die ersten Ränge.“

 

Der alte Mann verschaffte sich Luft. Frau Sorokina erwartete eine weitere Tirade. Die kam aber nicht. Nur eine simple Frage: „Glaubst du an die Demokratie? Ich hoffe nicht.“

 

Die Oligarchin lachte schallend.

 

„Natürlich nicht, lieber Bettino. Und das weißt du auch. Sonst wäre ich nicht dahin gekommen, wo ich heute bin. Ich sage es dir ganz offen: Mir ist es egal, wie sich eine Gesellschaft organisiert. Nur eines ist mir wichtig: Dass ich entscheide, wo es langgeht.“

 

Der ewige Ministerpräsident nickte zustimmend.

 

„Gut so!“

 

Das Pärchen wurde in seinen Überlegungen vom Chef des Service unterbrochen. Der kündigte Erdbeer-Mascarpone-Crème mit Mandel-Crumble an und servierte erneut zwei riesige Teller mit winzigen Portionen. Die Aufmachung so perfekt, dass sich ein Normalsterblicher sicher nicht getraut hätte, das Kunstwerk zu zerstören.

 

„Wünschen die Herrschaften noch einen Kaffee?“

 

Die Russin schüttelte unmerklich den Kopf, der Italiener murmelte nur: „Natürlich, wie immer.“

 

„Einen Espresso“, bestätigte der Oberkellner.

 

Kaum war er verschwunden, nahm Signore Gambino die Unterhaltung wieder auf.

 

„Bist du immer noch Mitglied bei den Kommunisten?“

 

„Weiß ich nicht. Ich bin zumindest nie ausgetreten. Offiziell, meine ich.“

 

„Du weißt, ich habe die Kommunisten immer mit allen Mitteln bekämpft. Aber darum geht es nicht. Dein früherer Glaube an die eine Partei beweist, dass du die Überzeugung, dass Menschen strenge Führung brauchen, nicht über Bord geworfen hast. Ich muss es wiederholen: Gut so!“

 

„Sicherlich habe ich das nicht. Es gibt nur wenige, die dazu prädestiniert sind, die Richtung vorzugeben. Die sollten sich von ein Paar Clowns nicht die Tour vermiesen lassen.“

 

Jetzt ließ der Patriarch die Katze aus dem Sack.

 

„Gut, ich denke, du bist dabei. Mehr kann ich dir aber heute noch nicht verraten. Nur das: Im Mai findet das Weltwirtschaftstreffen in Singapur statt. Du musst unbedingt hin. Dort werden wir mit unseren zukünftigen Partnern die weitere Strategie besprechen.“

 

„Gibst du mir ein paar Namen?“

 

„Tut mir leid, meine Liebe. Das kann ich noch nicht. Aber vertrau mir. Sie werden von deinem Kaliber sein.“

 

„Nun ist es an mir, zu sagen: Gut so!“

 

Der Herr über Italien schüttete theatralisch den letzten Schluck seines Kaffees herunter und blickte auf die Uhr.

 

„Meine Güte, wir müssen beide los. Trotzdem noch ganz etwas anderes: Bereust du unsere Affäre damals?“

 

Jetzt überraschte die Sorokina den Mann, der sie ohne jegliche Skrupel verführt und fallen gelassen hatte. Die Antwort kam ohne Zögern.

 

„Das nicht. Aber ich war gerade erst 18 geworden. Und du schon Anfang fünfzig. Es gehört sich einfach nicht für einen reifen Mann, ein so junges Ding in sein Bett zu ziehen. Trotzdem versuchen es alle. Darauf steht ihr, wenn die Manneskraft zu schwinden beginnt. Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich hege keinen Groll. Weißt du auch warum?“

 

Sie wartete die Erwiderung nicht ab.

 

„Ich habe in den zwei Wochen so viel über das Leben gelernt wie nie zuvor. Klingt doof, aber war genau so. Eben wie Macht funktioniert. Und es hat meinen Appetit geweckt. Mein lieber Bettino, ich sehe dich als Schlüssel zu meinem Erfolg.“

 

Den Patriarchen Mitte 80 konnte wirklich nicht mehr viel erschüttern. Doch er war geplättet und nickte schweigend.

 

Man erhob sich in Zeitlupe. Der Oberkellner brachte die beiden geborenen Führer unter endlosen Danksagungen zur Tür. Bei dem Trinkgeld mehr als angemessen. Klar, das Meeting war vorbei. Auf die beiden wartete der nächste Termin oder die Stunden wertvollen, aber raren Nachtschlafes. Trotzdem rief Gambino Tatjana, die schon dabei war, in ihren Wagen zu steigen, zurück. Zu deren Überraschung versuchte das altersschwache, kleine Männchen die Frau, die ihm vor Jahren zur Befriedigung seiner Gelüste gedient hatte, zu umarmen. Was ihm nur bedingt gelang, fast kläglich ausfiel.

 

„Ich habe dich also angefixt?“

 

Die milliardenschwere Herrscherin über ein Imperium verschiedenster High-Tech-Unternehmen lachte auf den gebeugten Mann herab.

 

„Kann man so sagen.“